Dezember
Weihnachten vorüber. Auch das Fest erscheint im Rückspiegel schnell viel weiter weg, als es die wirklich vergangenen Tage darlegen. Familiäre Kontakte in verträglicher Dosis, das war ok. Ein paar Plätzchen sind noch da. Als letztes bleiben immer die Vanillekipferl übrig. Schmecken mir nicht, sind aber fester Bestandteil des mütterlichen Backritus. Deswegen ist der Vanillekipferlanteil nicht verhandelbar. Auf der Keksdose ein Aufkleber mit der freundlich mahnenden Erinnerung, die Dose (Achener-Printen Schmuckdose, vermutlich späte Siebziger) wieder zurückzugeben. Für manche Dinge wird ein Sohn nie zu alt.
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Erzählt jemand von seiner Langeweile übe ich mich immer an diesem erstaunten Blick. Meine ja, für Langeweile keine Zeit zu haben. Zu viel zu tun, zu viel vor, zu viel unerledigtes, halbfertiges und noch nicht angefangenes. Viel zu viel unentdecktes und all das Zeug, das auf jeden Fall noch mal angefasst werden muß. Also kein Platz für Langeweile. Bis mir auffiel, dass das kaum damit zusammenpasst, dass ich im letzten Jahr neben anderen die Bücher von Lahm, Matthäus und Borowka gelesen habe. Fussballerbiografien (Anführungszeichen um “Biografien” denken). Angesichts von keiner Zeit für Langeweile eine vordergründig unverzeiliche Verschwendung von Lebenszeit. Andersherum waren das alles lange, verregnete Bahnfahrten im dunklen. Eine Entschuldigung findet sich immer. Das vom Borowka war gar nicht schlecht. Das vom Matthäus ist halt die zwischen Buchdeckel gepresste kilometerlange Massenkarambolage auf der Gegenspur, an der man im Stau langsam vorbeirollt und einfach nicht weggucken kann. Lahm hingegen hat wie erwartet geliefert. Den 200seitigen Aufsatz des Klassenstrebers, gewürzt vom Esprit des Prickelns eines vor acht Wochen geöffneten Bieres. Wie erwartet. Wer das Sujet mit Substanz betrachtet sehen möchte, greife besser zu »FIFA-Mafia« von Thomas Kistner. Mit der Gefahr, sich darauf hin angewidert vom professionellen Ballgeschiebe abzuwenden.
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Hmm, Fussballbücher. Mein erstes Fussballbuch bekam ich irgendwann zu Grundschulzeiten. Klassisches Jungsgeschenk. Es thematisierte aufstrebende Bundesligastars aus der zweiten Reihe. Milewski, del Haye, Allgöwer, eventuell auch Strack, Engels, Allofs, da kommen mir vielleicht aber auch einige Panini-Bilder gedanklich dazwischen. Auf jeden Fall auch schon mit Matthäus. Gemeinsames Foto mit seiner ersten Frau, erste Wohnung in Mönchengladbach. Muss gefühlt kurz nach dem Durchzug Karl des Großen durch Westfalen gewesen sein.
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Im Dezember habe ich vornehmlich Resturlaub und Überstunden verbrannt, war mit dem Rucksack ein paar kurze Tage in Marokko und habe von da eine kräftige Magenverstimmung mitgebracht, meine private Achillesverse. Also die letzten Tage vor Weihnachten krank gewesen, was auf den Monat gesehen bedeutete, keine Erwerbsarbeit und die damit verbundenen Sozialkontakte absolviert zu haben. Sehr angenehm von daher, das so all die zehntausend unnötigen »Frohes Fest«-Floskeln ausgefallen sind, mit denen man sich sonst in den letzten Wochen des Jahres in jedem Gespräch und in jedem Telefonat aufhält.
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Sylvester kurz entschlossen nach Düsseldorf. In der Altstadt viel los, vor allem viel halbstarkes. Ich gönne den Leuten ihre Böller, auch wenn ich mir selbst nichts draus mache, es hat halt bisweilen was von Krisengebiet und und würde den ein oder anderen Innenminister möglicherweise über die Sinnhaftigkeit von Ausgangssperren sinnieren lassen. Aber Minister sind hier nicht zugegen. Dafür haben die Sanitäter gut zu tun, ungeschicktes Fleisch und so.
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Später in der Neujahrsnacht dann noch in einem winzigen Salsa-Club. Angeblich passen 75 Leute rein, aber die müssten schon ähnlich kompakt wie ein Bonsai-Kitten gebaut sein. Ein langer Schlauch, dann am Ende 3 x 3 Meter mit Bänken aussenrum, in der Mitte ringt eine dreiköpfige Liveband tapfer um jeden Quadratzentimeter Standfläche. Der Gitarrist absolviert sein Programm mit unverstärkter E-Gitarre, daneben ein erdiger Bassman mit der Lebhaftigkeit eines Stalagmiten. Aber gute Lines. Zwischen ihnen eingeklemmt und einen halben Meter tiefer eine wirr aufs Notenblatt blinzelnde Keyboarderin, deren diabolische Haltung ein wenig an die des dem Wahnsinn anheim gefallenen Herbert Lom in den alten Inspector Cluseau-Filmen erinnert. Krächzende Farfisa-Laute, wie man sie das letzte Mal in der Aula der Grundschule gehört hat, wenn der Musiklehrer beim Adventssingen noch einmal alles gab. Komischerweise funktioniert das ganze irgendwie.
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Knapp 2.900 Km gelaufen in 2012. 2 Marathons, 2 Ultras absolviert. Im September in Münster dann ausgerutscht und das Kreuzband angerissen, dazu ein Knorpelödem. Ende November vorsichtig den Wiedereinstig versucht und kläglich gescheitert. Seit ein paar Tagen geht es nun wieder, langsam, geringer Umfang, aber schmerzfrei. Bin dankbar.
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Dieser Tage kommt die erste Verfilmung eines Romans der »Jack-Reacher«-Reihe ins Kino. Die Bücher sind sicher nichts für die Nachttische des literarischen Quartetts, aber dafür ungemein spannende guilty pleasures. Und dann lassen sie in der Filmadaption den knapp zwei Meter großen 110-Kilo-Schrank Reacher von Dreikäsehoch Tom Cruise darstellen. Tom Cruise, dafuk! Ein Protagonist, der in zynischer Stoik lieber zwei Wörter zu wenig als eines zu viel ausspricht und bar jeder Ideologie agiert, wird von Tom Cruise verkörpert. So lange Silvio Berlusconi nicht fürs Ghandi-Remake gecastet ist, wird es keine größere Fehlbesetzung mehr geben.
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In den letzten Tagen des Novembers schrieb ich die schriftliche Prüfung für mein »Nebenher-Diplom«. Sechseinhalb Stunden lang, handschriftlich. Vermutlich nur um Haaresbreite an der Sehnenscheidenentzündung vorbei, nach etwa zwei Stunden hatte das Schriftbild den Charakter einer Seismographennadel bei Ausschlägen um 9,4 auf der Richterskala (… nicht, das es am Anfang viel besser gewesen wäre). Beneide Tutoren und Korrektoren nicht wirklich.
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